Kapitel 6

Umzug nach Paris

Liebt ihr Dachböden? Ich ja. Die Leute packen die interessantesten Sachen
auf die Böden, während sie in den Zimmern stinklangweilige Stühle und
blöde Kommoden aufstellen.
„Wenn mein Herz vor Kummer zu brechen droht...“, um Sinas Tante zu
zitieren, laufe ich hinaus aus dem nackten Park, wische meine Pfoten am
Sofa ab und renne auf den Dachboden.

Durch ein Dachfenster sehe ich Spatzen ein- und  ausfliegen - sie sind genau wie Mäuse, nur mit Flügelchen. „Tchiktchiwik!“  -  „Moin, cil wu plä!“
Dann begrüße ich Sinas alte Puppe. Sie hat Schwindsucht und liegt in einer
löchrigen, staubigen Badewanne, die Füße nach oben. Ich ziehe sie hoch,
damit es anständig aussieht. Wir unterhalten uns über Sina. Leider Gottes
sei das Herz des Mädchens wie eine Pusteblume. Puppe vergessen, Mikki vergessen.
Dann kriegt sie eine Tochter, und alles fängt von vorn an: neues Töchterchen, neues Püppchen, neues Hündchen.

Hatschi! Staubig ist es hier oben!
Ich schnüffel’ am zerschlagenen Kronleuchter, lecke am Gummihund - der
Arme hat ein Loch im Bauch - und reiße die widerliche Hundepeitsche
in Fetzen...

Und einsam und traurig, und niemand steht helfend bereit,
   Im Leide die Hand dir zu reichen...  *             
d.h. in meinem Fall die Pfote.

  (*    И скучно и грустно, и некому руку подать
      В минуту душевной невзгоды... M.Lermontow)


Wäre ich stärker, würde ich die alte Badewanne beiseite schieben
und mir hier ein eigenes Zimmer einrichten. Unter das aufgerissene Sofa
käme der Papageienkäfig, das wäre mein Schlafzimmer. Auf dem chinesischen Billiardtisch richtete ich mir meinen Schreibtisch ein. Er steht schräg,
daran zu schreiben wäre sehr bequem.

Das Pissoir verlegte ich aufs Dach. Das scheint mir „hygienisch“ und angenehm.

Wie ein Matrose würde ich die Leiter zum Dachfenster entern und
könnte den Maulkorb im Schornstein entsorgen.
Hatschi  -  schon wieder geniest, das bedeutet, genauso wird’s passieren.
Oha! Eine Kutsche auf der Chaussee...wessen? wessen? wessen?
I-i-i-i! Sina ist gekom...

 

                                       ***


Die dritte Woche wohne ich jetzt in Paris - Rue de l`Assomption (das heißt
Mariä Himmelfahrt), Nr. 16, 3.Etage rechts.
Ihr würdet mich nicht wiedererkennen: ich pflege auf einem Kopfkisschen am
Kamin zu liegen, wie eine Porzellankatze, und riechen tu ich nach Flieder-
seife. An der Seite hängt eine grüne Krawatte, und am Halsband eine silberne Visitenkarte mit meiner Adresse. Wenn ich sprechen könnte, würde ich ein
paar Franc mopsen und mir Manschetten kaufen.

Sina ist in der Schule... aber auf dem Nachbarbalkon sitzt eine überaus
abstoßende winzige Hundedame. Die Ohren mit fettigen Fransen, die Augen mit fettigen Fransen, und die Lippen auch. Alles in allem so ein weinerlicher Muff, ein blinder Hundedarm, ein schmutziger Fetzen aus dem Second-Hand-Laden, ein piepsender Lumpen. Und wisst ihr, wie sie heißt? Gio-con-da... widerliche Fratze die, verdorbene Fratze!

Wenn weiter niemand auf dem Balkon ist, ärger ich sie. Hach, wie hübsch!
Ich drehe ihr den Hintern zu und winke mit den Hinterbeinen. So etwa fünf
Minuten. Hach, wie hysterisch sie sich aufführt! Wie eine Katze, die
vom Auto erwischt wurde...Jai-jai-jai-iii! Ui-ui-u-i-o! Ai-ai-ai-e!
Wie eine Bulette kommt dann ihr Frauchen angerollt, genauso eine kurzbeinige, zottelige, dickbäuchige Person, zieht sich im Gehen noch die Jogginghose hoch und, Herr im Himmel, wie sie die Kleine tituliert:
„Mein Mä-Mä-Mädelchen! Süßesüßekleine! Wer hat dich be-be-leidigt?
Mein armes kleines Würmchen! Mit runden kleinen Äugelchen! Mit hübschen dicken Pfötchen! Goldenes-silbernes-Schwänzelchen!“

Ich bin natürlich nebenan im Zimmer abgetaucht, als existierte ich nicht.
Ich wälze mich auf dem Teppich und hau mir mit den Pfoten auf die Nase,
so muss ich lachen.

Unten, oben, rechts und links spielen sie Klavier. Wenn’s nach mir ginge,
müssten die auf den Fingern einen Maulkorb tragen. Sina ist in der Schule.  
Warum müssen Mädchen heute so viel lernen? Wachsen tun sie von allein,
und später fläzen sie sich entweder den ganzen Tag auf dem Sofa herum oder lassen sich eine neue Frisur machen. Von der Sorte kenne ich einige.

Gestern kam unser Gärtner aus dem Dorf vorbei und brachte Äpfel und Eier.
Die besten behält er für die Köchin zurück (alles wissen wir), die schlechteren
bekommen Sinas Eltern. Versteh einer die Menschen: tragen Brillen, Linsen
und Pince-nez, aber was vor ihrer Nase geschieht, sehen sie nicht.
Bin ins Vorzimmer geschlichen, auf den Stuhl gesprungen und habe ihm in
die Manteltaschen ein paar Fischinnereien gesteckt - soll er mal sehen!

                                          ***

Mit Sina ins Cinema gegangen. Sehr aufregend. Wie nur, wie kann das sein,
dass Menschen, Autos, Kinder und Polizisten über die Leinwand rasen?
Warum ist alles grau, schwarz oder weiß? Wohin sind die Farben entschwunden? Warum bewegen alle die Lippen, aber hören tut man kein Wort?
Stumme, eingetrocknete Schmetterlinge habe ich auf dem Dachboden gesehen, aber die haben sich erstens nicht bewegt und zweitens waren sie bunt.


Siehst du, Mikki, bist doch ein Dummkopf und hast geglaubt, schon alles zu
wissen!

Ansonsten war der Film dumm: er verliebt sich in sie und fährt mit dem Auto
zur Bank. Sie ist auch in ihn verliebt, heiratet aber seinen Freund und fährt
mit einem dritten Mann ans Meer. Dann gab’s noch 1 Feuer und 1 Erdbeben
im Badezimmer. Der Dampfer wackelt, jemand bricht in die Kajüte ein und
am Ende vertragen sich alle.
Nee, Hundeliebe ist intelligenter, vernünftiger und überhaupt moralisch
höherwertig.

Auf jeden Fall sollten unverzüglich auch Filme für Hunde erfunden werden.

Alles nur für Menschen: Zeitungen, Rennen, Kartenspiele. Für Hunde: nichts.

Ist das nicht irgendwie gewissenlos und beschämend?
Einmal in der Woche könnten sie uns dann ausfahren und wir genössen, mit
verschränkten Pfoten, ein kulturelles Vergnügen.

„Der fremde Knochen“, „Beerdigung eines einsamen Mopses“, „Pudel Bob
linkt den Fleischer“ (für Welpen jeden Alters), „Der Traum der alten Dogge“
(Gothic), „Der Bernhardiner und das Mädchen im Schnee“  (für ältere Hunde-
damen), „Toffee und seine Cousinen“ (für lebhafte Schoßhündchen), „Polizeihund Fux blamiert die Tatort-Kommissare“ (für Kinder und für Hunde).

Ach Mikki, wie viele Themen!...  Du würdest Hunde-Drehbücher schreiben
und hättest ausgesorgt...

Neues Gedicht:        Knospen blühen an dem Zweige
                               bald wird’s Frühling, echt!
                               Runder wird auch Mutters Taille
                               Darum gehts ihr schlecht...

Oberster Hundefilmdirektor
Fox Mikki