Kapitel 2

Gedichte, Kätzchen und Flöhe


Die Erwachsenen lesen immer still für sich. Ich sage: Langweilige Leute, diese Erwachsenen, genauso wie alte Hunde. Sina dagegen - die liest laut, singt
dabei und zappelt auf dem Stuhl herum, klopft sich auf die Knie und zeigt mir
die Zunge. Das ist natürlich lustiger.

Ich liege dabei auf dem Teppich, höre zu und fange Flöhe. Eine sehr

angenehme Tätigkeit während einer Lesung.

Ich habe bemerkt, dass es Texte gibt, die Sina ganz besonders
vorliest - genauso, wie man Schnitzel klopft. Sie macht beim Lesen eine
Atempause, schnalzt mit der Zunge - und rattert weiter.

Am Ende jeder Zeile - ich habe feine Ohren - hört man einander ähnlich
klingende Stückchen: „Hexenmeister  --  wegbegeben, Geister  --  leben“.
So etwas nennt man dann Gedichte.

Gestern habe ich den ganzen Tag unter`m Diwan gelegen, sogar abgemagert
bin ich. Ich hatte mir fest vorgenommen, auch solch ein Stückchen zu
komponieren. Ich hab mir auch ein’s ausgedacht - und bin jetzt ganz
schrecklich stolz.

Draußen jagt der wilde Wind
Blätter unter uns’re Türe.
Ich bin Mikki, das Foxterrierkind
Bin das klügste aller Tiere.

Einfach wunderbar! Das hab’ ich geschrieben und war so aufgeregt, dass ich
gar nichts essen konnte. Stellt Euch vor: Das ist das erste Hundegedicht der
Welt, und dabei habe ich gar nichts studiert, weder auf der Uni, noch in
irgendeiner „Literaturwerkstatt“...

Ich sage, kann vielleicht unsere Köchin so ein Gedicht schreiben? Dabei ist
sie schon 43 Jahre alt und ich erst 2. Wuff! Unser Pummelchen Sina hat
keine Ahnung, mit wem sie unter einem Dache wohnt... eingewickelt hat sie
mich, in eine Serviette, mich zwischen ihre Knie gesteckt und mit einem
Wildlederläppchen meine Pfoten manikürt. Ich seufze und möchte das nicht
weiter kommentieren. Hat ein Mädchen sich je etwas Vernünftiges ausgedacht?

So, hab’ mich wieder hingelegt und werde mal probieren, mein Gedicht von
hinten nach vorn zu lesen. Jawohl. Kann ja sein, dass das noch besser klingt?...

Wind wilde der jagt draußen
Türe uns`re unter Blätter.
Foxterrierkind das, Mikki bin ich
Tiere aller klügste das bin.

Äh, aua-aua-aua! Was ist das denn? Katzenkinder! Sacht ma! Ihre Mutter, dies hinterlistige Geschöpf, ist den ganzen Tag im Park verschwunden, husch - und weg ist sie, wie die Mücke im Baum. Und ich soll mit ihren Kleinen spielen. Eins leckt meine Nase ab. Ich lecke zurück, obwohl meine Zähnchen ein bisschen...reinbeißen möchten...ein anderes lutscht an meinem Ohr. Na, für euch bin ich eure Mama, was? Das dritte krabbelt auf meinen Rücken - die kleinen, spitzen Krallen pieksen, als ob man mich mit einer Käsereibe bürstete. R-r-r-r-r! Ruhig, Mikki, ruhig!

Sina verschluckt sich noch vor Lachen: „Na, bist du jetzt Halbvater oder
Leihvater oder Adoptivvater geworden?“

Ich bin den Kleinen nicht böse: irgendjemanden brauchen sie doch zum
Ablecken, Lutschen und Kratzen... aber warum muss sich diese Göre darüber
lustig machen?


Ach - wie ungerecht, wie ungerecht! Heute ist das gewissenlose Katzenvieh
endlich zu seinen Kleinen zurückgekehrt. Und wisst ihr was: sofort haben sie
mich im Stich gelassen und sind unter ihre Mutter gekrochen. Unter der Tischdecke versteckt habe ich sie beobachtet, mein ganzes Fell hat gezittert vor Neid und herzzerreißend geschluchzt habe ich.
Unbedingt schreibe ich ein Gedichtchen darüber.

Ich bin dann abgehauen in den Park. Nie wieder werde ich mit den Kätzchen
spielen. Sie wissen mein Herz einfach nicht zu schätzen. Nie wieder
spiele ich mit Sina. Sie hat meine Nase mit Labello eingeschmiert...
Ich will ein wilder Foxterrier werden, wohne in der Kastanie und fange mir
Tauben.
Hu-hu-huu...

                                ***

Auf einer Schallplatte habe ich ein schlecht gemaltes Bild gesehen: ein Foxterrier sitzt, den Kopf zur Seite geneigt und mit abgeknicktem Ohr, vor dem Trichter eines Grammophons und hört: His master’s voice. Kom-plet-ter-Un-sinn! Kein einziger vernünftiger Fox wird diesem krächzenden, irrwitzigen Gerät zuhören.

An dessen Stelle würde ich, wäre ich Sinas Papa, im Wohnzimmer lieber die Kuh halten. Muhen und Brüllen kann sie genausogut, und das Melken wäre hier bequemer, als immer zu ihr in den Stall laufen zu müssen. Komisch, diese Menschen...

Mit Sina hab’ ich mich wieder vertragen: sie rollte eine Spielzeug-Kegelkugel
übers Parkett, und ich, so schnell ich konnte, hinterher.
Ach, wie liebe ich alles Runde, alles, was rollt, was ich fangen kann...aber
ein Mädchen  -  das bleibt immer ein Mädchen. Setzt sich auf den Fußboden
und gähnt: „Sag mal, Mikki, wird dir das nicht langweilig, 100 mal das Gleiche?“

Ach? Sie hat ihre Puppen, ihre Bücher, ihre Freundinnen, ihr Papa raucht,
spielt irgendwelche idiotischen Kartenspiele und liest Zeitungen, ihre Mama
kleidet sich hübsch an, um sich dann umzuziehen...  aber ich habe nur meinen Ball  -  und mir macht man noch Vorwürfe.

Ich hasse Flöhe. Ich-has-se-sie. Eigentlich könnten sie ja auch mal die
Köchin beißen (um Sina wäre es mir schade), aber nein  -  den ganzen Tag
knabbern sie allein an mir herum, als ob ich aus Zucker sei. Sogar von den
Kätzchen hüpfen alle zu mir herüber.

Na gut. Gehe ich eben in den Flur,  schmeiße mich mit dem Rücken auf den
kratzigen Teppich und plätte sie so, dass sie in Ohnmacht fallen. Wuff-
wuff-wuff!

Der Kamin wurde angezündet. Ich gucke ins Feuer.
Aber was das eigentlich ist: Feuer -  das weiß doch niemand.

Fox Mikki
Hunde-Poet
einen klügeren
giebt’s net.